Geschichte des Bibliothekssaals
Bibliothekssaal
Der Bibliothekssaal wurde (mit Nebenräumen) von 1783 bis 1875 als Bibliothek genutzt, zunächst als Reichsstädtische Bibliothek, dann als Königliche Kreisbibliothek. Nach dem Einzug des Gerichts 1960 in die Neue Waag schlummerte er bis 1999 im Dornröschenschlaf. Seit 1999 ist er der größte Sitzungssaal des Gerichts. Seit 2010 sind dort Glasbilder von Erwin Pohl ausgestellt.
Reichsstädtische Bibliothek (1783 – 1810)
Die Regensburger Ratsbibliothek (auf dem Rathaus), Mitte des 14. Jahrhunderts erstmals indirekt erwähnt, ist eine der am frühesten bezeugten Ratsbibliotheken Deutschlands. Im 16. Jahrhundert kam der Wunsch nach einer speziell theologisch-literarischen Bibliothek in den Mauern der Freien Reichsstadt Regensburg auf, was 1551 zur Gründung einer Sammlung beim reichsstädtischen Gymnasium Poeticum führte. Diese Schulbibliothek, die freilich eher eine Gelehrtenbibliothek war, entwickelte sich rasch zum Treffpunkt gelehrter Männer, so Nicolaus Gallus (1516 - 1570), Matthias Flacius (1520 - 1575), Kaspar Bruschius (1518 - 1559) sowie Caspar von Nidbruck (um 1525 - 1557). Hier fanden auch zahlreiche Handschriften des Benediktinerklosters Prüfening Eingang, die im Laufe des 16. Jahrhunderts für die Sammlung erworben werden konnten.
1783 entstand in der damals der Stadt gehörenden Neuen Waag die Reichsstädtische Bibliothek aus der Zusammenlegung dreier Regensburger Bibliotheken, die von der Reichsstadt bzw. der evangelischen Geistlichkeit verwaltet worden waren. Vereinigt wurde die Ratsbibliothek mit den Büchersammlungen des reichsstädtischen Gymnasium Poeticum sowie der 1698 gegründeten Ministerialbibliothek der evangelischen Geistlichkeit. Der ehemalige Festsaal des Hauses und der anschließende Turmraum wurden nach oben durchgebrochen und erhöht, so dass zweistöckige Galerien Platz fanden, wovon nach außen die ovalen Oberlichter (sog. Ochsenaugen) Zeugnis geben. An drei Seiten des Saales laufen klassizistische Holzgalerien um. Den schweren Durchzugsbalken stützt eine steinerne Mittelrundsäule mit ausladendem Laubwerkkapitell. Die Säule stammt freilich noch aus der Zeit um 1575. Unter Einschluss des Turmes entstanden zwei benachbarte Bibliotheksräume. Die Umbaukosten beliefen sich auf 3.119 Gulden, was damals eine beträchtliche Summe darstellte. Im Saal und auf den Galerien standen Bücherschränke. In ihnen waren an die 15.000 Bücher untergebracht, wie verschiedene Bibliotheksreisende des 18. Jahrhunderts berichten. Zwei Nachmittage in der Woche war die Bibliothek öffentlich zugänglich, was damals keineswegs selbstverständlich war. Mit dem 1781 zum Stadtschreiber (Syndikus) ernannten Carl Theodor Gemeiner erhielt die Bibliothek einen besonders befähigten gelehrten Bibliothekar und Historiker als Leiter.
Es wurde Wert gelegt auf ein schönes Aussehen der neuen Bibliothek, weshalb mehrere Tausend Bände aus der Ministerialbibliothek verramscht wurden, „um durch die Aufstellung die Bibliothekssäle nicht zu verunzieren“, wie Gemeiner festhielt. Des Umzugs und der Aufstellung für würdig befunden wurden dagegen zwei Skelette, die 1751 der spätere Stadthpysikus Dr. Johann Gottlieb der Ratsbibliothek geschenkt hatte.
Der Saal wurde von der Reichsstadt Regensburg gebaut als Bibliothekssaal, so wurde er von 1783 bis 1875 auch genutzt, auch das Gebäude wurde damals oft als Bibliotheksgebäude bezeichnet. Deshalb nennt das Gericht heutzutage den Saal „Bibliothekssaal“. Die frühere Bezeichnung „Napoleonsaal“ ist ominös. Über ihre Hintergründe gibt es nur – unterschiedliche - Spekulationen.
Über Jahrhunderte zählten die Bibliotheken Regensburgs aufgrund der hier verwahrten Handschriften und Inkunabeln zu den Sehenswürdigkeiten für die zahlreichen Gelehrten, welche die Reichsstadt aufsuchten. Kaum eine Reisebeschreibung, die nicht wenigstens eines dieser bibliothekarischen Kleinode erwähnt. Adalbert Blumenstein, ein österreichischer Geistlicher des 18. Jahrhundert und großer Bibliothekskenner etwa berichtete, er habe – mit Ausnahme von Wien – in keiner Stadt nördlich der Alpen so viele Büchersammlungen angetroffen.
Die Reichsstädtische Bibliothek in der Neuen Waag war eine „der sehenswerthesten Merkwürdigkeiten Regensburgs“, wie der Gelehrte Friedrich Karl Gottlob Hirsching (1762 - 1800) in seiner 1790 erschienenen Beschreibung bedeutender Bibliotheken Deutschlands bemerkte. Was für einen ausgezeichneten Ruf sie genoss, zeigt sich exemplarisch an einem ihrer letzten Besucher: Im Januar 1810 bestaunte Kronprinz Ludwig (1786 - 1868), der spätere bayerische König Ludwig I. (1825-1848), die Schätze der Reichsstädtischen Bibliothek, wie aus seinem Tagebuch hervorgeht. Dabei zählte sie zu den wenigen Sehenswürdigkeiten Regensburgs, die der Wittelsbacher als erwähnenswert notierte.
Die ältesten und wertvollsten Handschriften der ehemaligen Ratsbibliothek wurden von verschiedenen Partnern digital zusammengeführt und sind seither online verfügbar. Darunter befinden sich auch die ersten nachweisbaren juristischen Handschriften, welche der Ratsbibliothek 1430 von Konrad von Hildesheim, einem Kanoniker bei Sankt Johann in Regensburg, geschenkt worden waren.
Online-Angebot der Bayer. Landesbibliothek
In der Stadt Regensburg ist der Verlust der Reichsfreiheit 1810 nicht verwunden. Noch heute gedenkt die Stadt jedes Jahr im Reichssaal – dem Tagungsort des Immerwährenden Reichstags - beim Stadtfreiheitstag, dass sie 1245 von Kaiser Friedrich II. die Reichsunmittelbarkeit erhalten hatte. Das von Amts wegen auf Ausgleich unterschiedlicher Interessen bedachte Gericht begrüßt das Digitalisierungsprojekt, weil es die „Beutekunst-Diskussion“ abmildern kann. In den Jahren nach 1810 gingen neben weiteren wertvollen Kulturgütern (wie Kunstwerken; Urkunden, Karten) die kostbarsten Spitzenstücke der in Regensburger Bibliotheken befindlichen Werke überwiegend nach München, als wenig bedeutend oder gefährlich angesehene Bücher wurden versteigert, landeten beim Trödler oder in der Papiermühle. So ermöglicht es u. a. dieses Digitalisierungsprojekt, jedem Interessenten auf das großartige Bucherbe Regensburgs zumindest in Teilen, unabhängig vom physischen Standort der Werke, bequem von zuhause aus zugreifen zu können.
Die digitalisierten Handschriften befassen sich thematisch mit folgenden Sachgebieten:
Biblische Texte und Exegese
Hagiographie und Totengedenken
Christliche Mystik und Dichtung
Jurisprudenz
Kirchenrecht
Römisches Recht
Medizin
Allgemeine Werke und Kommentare
Werke zu einzelnen Themen
Zeitrechnung, Astronomie, Astrologie
Philosophie und Rhetorik
Historiographie und Chronistik
Genealogie, Heraldik und Emblematik
Literatur
Naturbeobachtung
Architektur, Mathematik und Technik
Sämtliche damals in Regensburg vorhandenen Drucke sind online verfügbar, da nicht nur die Bayerische Staatsbibliothek München, sondern auch die Staatliche Bibliothek Regensburg zusammen mit dem Suchmaschinenbetreiber Google sämtliche urheberrechtsfreien Drucke digitalisiert haben.
Königliche (Kreis-)Bibliothek (1816 -1875)
Als 1810 die ehemalige Reichsstadt Regensburg zum Königreich Bayern kam, wurde die über Jahrhunderte gewachsene Büchersammlung der Reichsstädtischen Bibliothek auseinandergerissen. Die kostbarsten Handschriften und seltensten Drucke wurden von dem Hofbibliothekar Johann Baptist Bernhart im Winter 1811/12 gesichtet und anschließend in die königliche Hofbibliothek nach München gebracht. Wohl auch das Eigentum am Gebäude ging 1810 auf das Königreich über. Der nach damaligen Maßstäben weniger wertvolle, nicht nach München abtransportierte Fundus fiel - angereichert um die Reste der Sammlungen verschiedener anderer Bibliotheken – an die 1816 gegründete Königliche Kreisbibliothek für den Regenkreis (die heutige Staatliche Bibliothek Regensburg). Die Kreisbibliothek sollte neben den Beständen der Reichsstädtischen Bibliothek den Fundus der zwischenzeitlich säkularisierten Regensburger Klosterbibliotheken und der Bischöflichen Bibliothek aufnehmen, soweit sie nicht der Hofbibliothek in München einverleibt wurden. Zudem wurde der Kreisbibliothek gewissermaßen ins „Stammbuch“ geschrieben, sich in besonderer Weise um Regensburg und die Region zu kümmern, einen Auftrag, den die Staatliche Bibliothek Regensburg bis heute wahrnimmt.
Die Kreisbibliothek musste ihr „Kreisbibliotheksgebäude“ bei der Regierung des Regenkreises gegen konkurrierende Nutzerwünsche verteidigen. Als besonders unangenehmer Mitbenutzer erwies sich aus Bibliothekssicht die 1833 mit Sitz in Regensburg gegründete Gesellschaft zur Förderung der Seidenzucht in Bayern. Seidenraupen und ihre Konkons sowie Webstühle zum „Spulen und Weben“ mussten sich mit den Büchern um 1840 für einige Jahre die Räumlichkeiten teilen, bis die Seidenzuchtgesellschaft in die Seidenplantage auf die Winzerer Höhen vor den Toren Regensburgs umzog. 1850/51 fand hier eine der größten Archivalienversteigerungen in der Geschichte Regensburgs statt. Große Teile der Überlieferung der ehemaligen Regensburger Klöster, des Hochstifts sowie der Reichsstadt gingen damals verloren. 1875 kaufte die Stadt das Gebäude vom Staat um 36.000 Gulden (wohl zurück) und die Kreisbibliothek musste umziehen. Seit 1875 ist die Bibliothek (die heutige Staatliche Bibliothek Regensburg) im erhaltenen Gebäudeteil (Neubau von 1728/29) des ehemaligen reichsstädtischen Gymnasium poeticum in der Regensburger Gesandtenstraße untergebracht.
Literatur:
- Michael DRUCKER, Bürger und Bücher : Die Bibliothek der Reichsstadt Regensburg; Ausstellung im ehemaligen reichsstädtischen Bibliothekssaal, heute Sitzungssaal des Verwaltungsgerichts Regensburg, 9.6. - 25.6.1999 und in der Staatlichen Bibliothek Regensburg, 1.7. - 17.7.1999, Regensburg 1999.
- Bernhard LÜBBERS, Regensburg hat die älteste Ratsbibliothek Deutschlands. Eine kleine Sensation für die bayerische Historiographie, in: Regensburger Almanach 2007, S. 86-91.
- Bernhard LÜBBERS, König Ludwig I. und Regensburg. Freund und Förderer, in: Regensburg bayerisch 1810. Regensburger Almanach 2010, S. 20-29.
- Bernhard LÜBBERS, Johann Baptist Bernhart (1759-1821) und seine Regensburger Bibliotheksreise im Winter 1811/12, in: Tobias APPL – Georg KÖGLMEIER (Hg.), Regensburg, Bayern und das Reich. Festschrift für Peter Schmid zum 65. Geburtstag, Regensburg 2010, S. 597-617.
- Bernhard LÜBBERS – Manfred KNEDLIK (Hg.), Die Regensburger Bibliothekslandschaft am Ende des Alten Reiches (Kataloge und Schriften der Staatlichen Bibliothek Regensburg 5) Regensburg 2011.
- Karl Bauer, Regensburg. Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte, hg. von Peter BAUER, Regenstauf 2014.
- Regensburger Reichsstädtische Bibliothek Online:
Dornröschenschlaf
1940 kaufte der Staat die Neue Waag von der Stadt Regensburg. Der Bibliothekssaal, der nach Auszug der Bibliothek seit 1875 seiner eigentlichen Bestimmung beraubt war, schlummerte auch nach dem Einzug des Gerichts 1960 in die Neue Waag weiter im Dornröschenschlaf. Er war Rumpelkammer, Wäscheboden für die damals noch vorhandene Hausmeisterfamilie, gelegentlicher Tischtennisraum für Gerichtsangehörige oder bestenfalls Aktenablage.
Sitzungssaal des Gerichts (seit 1999)
Erst 1999 wurde der Bibliothekssaal als der nunmehr größte Sitzungssaal des Gerichts in Betrieb genommen. Die baulichen Eingriffe und die Kosten für die vorher erforderliche Sanierung des Saals hielten sich dabei in Grenzen. Insbesondere wurden der Fußboden hergerichtet, die Fenster aufgedoppelt, neue Türen und eine neue Heizung und Beleuchtung angebracht. 2013 wurde eine Lautsprecheranlage eingebaut.
Der historische Bibliothekssaal in seiner jetzigen Gestaltung ist ein Beispiel gelungener Denkmalpflege. Eingriffe in die historische Substanz wurden weitgehend vermieden. Dennoch hat der Saal als größter Sitzungssaal des Gerichts eine zeitgemäße Nutzung erhalten. Im Spannungsfeld zwischen zwei Kunstepochen, nämlich dem Rokoko und dem Klassizismus, sind Werke des Frühklassizismus eher selten anzutreffen. Die Farben des Frühklassizismus sind weiß und gelb bzw. gold und blau. Während die ersten beiden Farben im Saal vertreten sind, fehlt letztere Farbe dem Raum. Mit der Nutzung des Saals, nämlich mit den blauen Roben der bayerischen Verwaltungsrichter in den Sitzungen des Gerichts, wird dieses Farbenspiel vervollständigt.
Kunstausstellung (seit 2010)
Zu Zeiten der Nutzung als Bibliothek war der Saal gefüllt mit Bücherschränken und Büchern. Seit der Auflösung der Bibliothek wirkte der Saal ausgeräumt. Seit 2010 sind im Bibliothekssaal die Glasbilder von Erwin Pohl ausgestellt. Sie geben dem Saal Leben, bleiben freilich dezent im Hintergrund und dominieren seine Architektur nicht. Rechtsprechung und Kunst als derzeitige Nutzung passen gut in den historischen Reichsstädtischen Bibliothekssaal. Hier befanden sich Werke zur Jurisprudenz, z.B. zum Römischen Recht und zum Kirchenrecht. Zahlreiche Bücher aus der Reichsstädtischen Bibliothek sind aufgrund der Qualität ihrer Handschriften und Buchmalereien Kunstwerke.
Veranstaltungen
Da der Bibliothekssaal vom Gericht als Sitzungssaal benötigt wird und das Gericht zudem nicht die erforderliche Personalausstattung für ein Veranstaltungsmanagement hat, steht er – anders als zur Vermietung angebotene mittelalterliche Säle in Regensburg - privaten Dritten für Veranstaltungen grundsätzlich nicht zur Verfügung.
Diashow zum Bibliothekssaal
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